Kerzenzeit ist immer … Von den Schuhen geht ein Lebensgefühl aus

Erna sorgt anscheinend für alles. Sogar Egons Schuhe untersucht sie. Ob sie abgelaufen sind, ob die Sohlen noch funktionieren. Als ob Schuhsohlen so wichtig wären … Ganz so hundertprozentig gefällt es Egon nicht, dieses „Zeig mal, wie sehen deine Schuhe von unten aus“. Es hat so etwas von Bevormunden. Na ja … ohne Erna, wer weiß, wie lange er sonst mit abgelaufenen Schuhspitzen und -hacken herumlaufen würde. Dass das nicht gut sein kann, für den Rücken und für seine Optik, das braucht ihm niemand zu sagen.

Doch heute sagt sie ganz etwas anderes.

„Weißt du noch … wir mit unseren Schuhen, damals…? Geglänzt haben sie, poliert waren sie, so richtig auf Hochglanz gebracht. Der erste Blick fiel immer nach unten, zu den Schuhen. Und was haben sie geklappert. Kaum zu überhören … „

“Deine Stöckelschuhe … konntest kaum laufen damit. Weite Strecken …“

Egon überlegt. Ach nein, dass Erna mal nicht mehr laufen konnte, daran kann er sich nicht erinnern. Und Wanderschritte damals waren auch kein Wettbewerb so wie heute. Die Jugend läuft manchmal mit ihrem Handy um die Wette, meint er jedenfalls, weil alle Schritte und Kilometer aufgezeichnet werden können. Von diesen technischen Bewegungskontrollen will er nichts wissen. Sich bewegen nach Gefühl, nach Lust und Laune, dass ist seine Devise, jetzt, wo er seinen Tag frei gestalten kann. „Und wenn ich den ganzen Tag auf dem Hintern sitze, geht das niemanden etwas an“, meint er. Angetrieben werden hasst er, früher auch schon. Hat man etwas vor, laufen die inneren Motoren sowieso wie von selbst, denkt und sagt er.

Ach ja … früher. An die blank geputzten Lederschuhe erinnert er sich nur zu gut. Schwarze Schuhe waren es, Anzug-Schuhe. Und Erna trug helle oder sogar weiße Schuhe. Empfindliches Schuhwerk war es, daran erinnert er sich. Um jede noch so kleine Wasserpfütze wurde ein vorsichtiger Umweg gemacht, um keine nassen Füße zu bekommen. Ihr Händchen-Halten hatte natürlich nichts damit zu tun, obgleich das Straßenpflaster nicht überall gut zu den Schuhen war.

“Heute würden wir die Schuhe von damals nicht mehr anziehen … können gar nicht mehr darauf laufen, Egon.“

“Willst dir doch wohl nicht die Knochen brechen Erna … du und Stöckelschuhe …“

Von sich selbst spricht Egon nicht. Ob er sich selbst für den grossen Adonis hält, dem die Zeit nichts anhaben kann, auf Schuhe bezogen? Denn seine Schuhe zum feinen Anlass sehen fast so aus wie die Ausgehschuhe seiner jungen Jahre. Nur dass man seine Schritte nicht mehr so laut hört wie bei den Schuhen mit der Metallverstärkung an den Sohlenspitzen.

Stöckelschuhe … daran hat Erna schon seit Jahr und Tag nicht gedacht, doch jetzt … was denkt Egon eigentlich von ihr …? Lange, lange hat sie nicht auf solchen Schuhen gestanden, hat sie nicht einmal anprobiert. Dabei gibt es Absätze in allen möglichen Höhen. Sogar bequeme Schuhe mit Absatz gibt es …

Sie bekommt Lust, sich mal wieder richtig schick zu machen. … Wahrscheinlich zieht Egon hinterher … Ein neues Lebensgefühl krabbelt in ihr hoch. Spannend, als bewegte sich etwas. Es scheint, als bekäme ihr Alltag Licht.

Ein Lächeln kriecht in ihre Augen.

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