Kerzenzeit ist immer … warum hat sie keine Bücher ausgeliehen

Wenn Erna anfängt Erinnerungen aufkochen zu lassen, sitzt nicht nur sie angespannt in der Küche. Nicht, dass die Erinnerungen überkochen, nein … es ist einfach nur spannend. Denn zu den Geschichten von früher gesellen sich Blitzgedanken, an die man sein Leben nicht gedacht hat. Selbst der manchmal doch recht unruhige Geist von Egon bleibt ruhig mit ausgestreckten Armen am Tisch sitzen. Erna hat aber auch manchmal eine Art, Dinge spannend zu machen. Erzählte ein anderer das Gleiche, wetten, dass Egon längst abgewunken und auf die kommenden Nachrichten hingewiesen hätte. Männer und Geduld bei Frauengeschichten, na ja … ist auch so eine Sache.

„Sonntags .. nach der Messe, ich weiß gar nicht mehr, wie oft ich in die Bücherei gegangen bin. Das ganze Regal habe ich durchgelesen …“

„Krimis, Erna?“

Dabei schaut Egon sie schmunzelnd neugierig an.

„Wo denkst du hin. Das Doppelte Lottchen und Das fliegende Klassenzimmer. Gelb waren die Bücher, nicht zu dick und hatten auf jeder zweiten, dritten Seite ein Bild. In schwarz-weiß …“

Egon blickt auf. Ihm schwant, dass die Bücher, die er in jüngsten Jahren in die Finger bekommen hat … ach, weg ist sie, die Erinnerung. Wie sahen nochmal die Bücher aus, die er verschlungen hat. Abenteuerbücher waren es, Helden und Sagenbücher. Sooft wie Erna war er sicherlich nicht in der Bücherei. Aber das stimmt, zu Weihnachten hat er auch immer ein Buch geschenkt bekommen. Eine Taschenlampe, hatte er da schon eine eigene Taschenlampe ..? Egon überlegt. Eigene Rollschuhe, daran erinnert er sich. Kann man sich heute gar nicht mehr vorstellen, dass man mit diesen schweren Eisenrollen unter den Füßen schnell sein konnte. Und das Einmachgummi, erstaunlich, wie lange es mitgeholfen hat, diese schweren Rollschuhe an den Füssen zu halten. Wettlaufen haben sie gemacht im Frühjahr. Und einen Lederball hatte er. Als gehörte ein Ball, der was aushält, zur Jungenwelt. In den Büchern, die er damals gelesen hat, kamen bestimmt Bälle vor und Fahrtenmesser ..

„Professors Zwillinge ..“, schwärmt Erna. „War damals schon ein uraltes Buch, bei dem sich der Rücken löste, was habe ich die Geschichten in diesem Buch geliebt. Geschrieben war es in deutscher Schrift. War überhaupt kein Hindernis. Wahrscheinlich war es so spannend, dass ich mich durch die Buchstaben durchgewurstelt habe. Wieder und wieder habe ich es gelesen und irgendwann einmal die schwarz-weißen Bilder in dem Buch mit Buntstiften sorgfältigst angezogen …“

Egons Gedanken suchen seine  Büchern von früher. So wie Erna von ihrem Lesen als Kind schwärmt, also dieses Gefühl stellt sich bei ihm nicht ein. Er muss sich wohl mehr draußen bewegt haben. Mädchen haben eben mehr Sitzfleisch. Egon stutzt. Was hat er gerade gedacht ..  Unsinn, was einem so manchmal in den Kopf wandert ..

„Ein Buch ausleihen damals, als ich Kind war, das hat 10 Pfennig gekostet. Ein dickes Buch – sagen wir mal 400 Seiten, da hat die Ausleihe 20 Pfennig gekostet. Ein Buch aus der Bücherei sonntags mit nach Hause nehmen und nicht lesen, daran kann ich mit nicht erinnern, obgleich es in jedem Buch langweilige Stellen gab. Dann wurden die Seiten bis zum nächsten Bild gezählt oder, wenn keine Bilder enthalten waren, die ungelesenen Buchseiten von den Zentimetern her abgeschätzt. Das Spannende kam jedoch meistens schnell zurück. So manches Buch wurde verschlungen, bis man nicht mehr sitzen konnte.“

„Lesen abends im Bett unter der Bettdecke, na Erna? .. Und schnell das Licht ausknipsen, wenn man Schritte hört ..“

„Wenn´s spannend ist, sind Kinder wohl alle gleich, Egon. Mit einem Ohr lauschen, ob sich Geräusche nähern und gleichzeitig mit den Augen die Geschichte aufsaugen. Bei Dämmerlicht lesen .. Mach´dir nicht die Augen kaputt, hat Mama immer gesagt ..“

Erna bekommt plötzlich einen ernsten Gesichtsausdruck. Erinnerungen lassen Gedanken tanzen.

„Warum nur hat meine Mutter nie ein Buch aus der Bücherei ausgeliehen, früher .. “

„Beim Lesen ruhen die Hände … beim Lesen darf man nicht gestört werden … „sinniert Erna. „… hatten alle anderen Vorrang .. ?“

„… hat vielleicht mit innerer Freiheit zu tun …“

„Innere Freiheit ist ein hohes Gut. Vielleicht sogar die Voraussetzung, um etwas für sich zu machen, ohne egoistisch zu sein ..“

Egon steht auf. Auch Erna wendet sich jetzt ihren Dingen zu.

 

5 Gedanken zu “Kerzenzeit ist immer … warum hat sie keine Bücher ausgeliehen

    1. So manche Erinnerungen verfeinern den Tag, weil sie ein Lächeln ins Gesicht zaubern. Und es gibt so vieles, Unspektakuläres, was sich aus den Tiefen des Gedächtnisses hoch kramen lässt …
      Herzliche Grüße zurück

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  1. Das war noch gar nicht fertig 😀
    Erich Kästners Bücher liebte ich ( im gelben Band) . Ich wollte die Geschichten meinen Kindern vorlesen. Die deutsche Sprache in den Büchern hat sich aber sehr verändert und Kästners Deutsch machte den Kids Mühe.
    Liebe Grüße, Priska

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