Kerzenzeit ist immer … Erna hat Probleme

Ernsthafte Probleme. Ein paar Kilo weniger käme ihrer Gesundheit zugute, hat der Doktor gesagt. Und Bewegung. Spazierengehen und sich unterhalten dabei, hat er auf seinem Rezept vermerkt. Ferner ins Schwimmbad gehen und ein Stück Schokolade mitnehmen, Häkeln zur Beweglichkeit der Hände im Café oder im Kaufhaus und Hüte aufprobieren.

Egon staunt und sogar Lena findet den Doktor bemerkenswert fortschrittlich.

Lena konnte es in Wirklichkeit nicht richtig fassen, dass ein studierter Doktor solche Rezepte ausstellt. Sie hat deshalb sofort in ihrer Community nachgehört, ob das wohl seine Richtigkeit hat. Den ganzen Tag hat sie herumgesurft und sich sogar ein Buch über moderne Behandlungen besorgt.

Das liegt jetzt auf ihrem Nachtischschränkchen. Sind noch keine Blätterspuren drin. Wenn sie es nicht benutzt, geht es sofort weiter, ist ja sonst viel zu teuer. Bücher, wer kann schon all die Bücher bezahlen, damit das Wohnzimmer gut aussieht.

Bücher-Leihwand im Abonnement, hätten sie doch damals zugegriffen, als der Vertreter kam. Jetzt ist Lena am teuren Einzelkaufen. Sonst wäre das ganze medizinische Wissen im Haus, dann bräuchten sie gar keine Rezepte. Was nützt das Jammern jetzt. Vielleicht bleibt es ja bei einem Buch. Außerdem, wenn sie sich drauf setzen, haben sie eine gerade Körperhaltung, damit sparen sie locker ein Rezept ein. Heutzutage wollen die Leute immerzu alles mitwissen, wenn der Doktor etwas verordnet.

„Schlank durch Anti-Verzicht in Kombination mit täglichen Ortswechseln“

Das steht sogar als Werbung an der Wand in der Arzt-Praxis. Das mit den Ortswechseln, das ist sogar für Lena völlig neu. Das dauernde Hin-und Herhasten soll gesund sein? Sie – morgens in die Schule, nachmittags zur Arbeitsgemeinschaft, abends zum Chor und wenn sie danach die Wohnungstür aufschließt, spätabends also, dann macht sie ihr Smooty für den kommenden Tag fertig.

Da steht es. Die Erklärung, wie diese Diät funktioniert.

Schlank, also Traumgrösse… wie erreichen, was steht da?

Aha, locker, zwanglos spazierengehen, zum Einkaufen, mit dem Hund, Müllsammeln oder ähnliches und deshalb mehrfach die Straße rauf und runter gehen … Auf dem Zettel vom Arzt sind weitere Möglichkeiten erfasst. Viel bewegen und sich ab und an dabei bücken, auch mal tiefer runter gehen beim Bücken, so ähnlich fasst Lena diesen Punkt zusammen.

Doch Anti-Verzicht, was soll das nun wieder  …

„Wer schön sein will, muss leiden.“ Das kennt jeder und ehrlich gesagt, so ein volles Bonbonglas, was nur durch eisernen Verzicht zustande gekommen ist, darauf möchte man stolz sein können.

Anti-Verzicht heißt wohl: Da ist nichts mit Verzichten. Na, ob das klappt? Mit so einem vollen Bonbonglas konnte man sich ein  schönes Denkmal ins Wohnzimmer setzen. Alle haben gefragt, wem es gehört und dann dieses Vergleichen, wenn die Gläser in Reih und Glied auf dem Sideboard stehen, so schön militärisch milimetergenau, all das soll durch den neuen Doktor wegfallen?

Ob diese Rechnung aufgeht, Lena und Egon haben ihre Zweifel.

Zum Dünner-Werden also erst mal die Nachbarin fragen oder die andere von gegenüber, ob sie mitmacht und sich auch so bewegen will. Laufen, bücken, sich recken dabei, Gleichgewicht halten an der Böschung zum Graben, dabei den Hund führen und sich nett unterhalten, also nicht über andere herziehen. Kanne Kaffee darf man auch mitnehmen und eine Tafel Schokolade. Man wird garantiert nicht dicker davon, sondern dünner, heißt es, wenn man dieses Anti-Verzicht-Bewegungstraining bucht.

Buchen muss man das Anti-Verzicht-Diätprogramm, richtig gelesen. Dieses Diätprogramm kostet bares Geld. Man bekommt eine Spaziergehroute zugewiesen. Kann man sich vorstellen, nicht auf jedem Weg darf man sich oft bücken oder muss in Spagat-Haltung einen Gegenstand hochfischen. Eine abgegraste Route ist klinisch sauber, auf diesen Wegstrecken greift der Anti-Verzicht-Diätplan nicht mehr. Die ausgewogen vermüllte Wegstrecke mittleren Grades eignet sich für langfristige Trainingseinheiten. Diese Strecken lassen sie sich natürlich teuer bezahlen, ist klar, oder?

„Wer’s glaubt, wird selig, …funktioniert sowieso nicht, dieses Abspeckprogramm“. Egon und Lena, beide können dieser modernen Bewegungs- und Unterhaltungsmedizin nichts abgewinnen.

Schwerpunkt Unterhaltungsmedizin, Lena liest es gerade: Durch mangelnde Unterhaltung, Sprechen und Zuhören also,  entsteht Stress. Dauernde Anspannung kann ein Zuviel oder ein Zuwenig an Körperfülle hervorrufen. Eine gesunde Lebensführung ist notwendig.

Und dann geht’s los mit dem Häkeln im Café und dem Lesen dort. Schon die echte Geräuschkulisse von lebenden Menschen soll eine Art Naturmedizin sein, munkelt man. Hüte aufprobieren gehört in die Sparte: „Gesund und hübsch durch Gesichtsmuskeltraining.“

„Dieser neue Doktor lässt sich alles ganz schön bezahlen.“

„Bewegung ist nun mal ein hohes Gut. Doch Leute zum Reden und Zuhören zu finden, Lena, ich sag es dir, frag mal den von gegenüber ganz oben, da kommst du nur ganz schwer dran. Leute, die anderen zuhören wollen, werden, glaube ich, allmählich selten. Was sagst du dazu, Lena…?  Herzen kann man nicht kaufen.“

9 Gedanken zu “Kerzenzeit ist immer … Erna hat Probleme

  1. *schmunzel*

    Diät, liebe Inge,
    ist für mich ein grausames Wort
    und ich benutze es nur im Zusammenhang
    mit den lästigen Po-litikern und ihren sogenannten Diäten *haha*

    Schön wieder geschrieben, und originell wie immer!
    Liebe Morgengrüße vom Lu

    Gefällt 2 Personen

    1. Lieber Lu, guten Morgen kann man schon wieder sagen. Herzlichen Dank für Deinen Kommentar hier. Ja und die Diäten … etwas Freude in den Alltag bringen wirkt schon fast wie eine Diät und ausreichend schlafen. Herzliche Grüße Inge

      Gefällt 1 Person

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